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Wenn die Schmerzen nicht groß genug sind… oder: Der zu kurze Nagel

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Wenn die Schmerzen nicht groß genug sind… oder: Der zu kurze Nagel

Zwei Wanderer machten sich zu einer mehrtägigen Bergtour auf. Einer der beiden hatte seinen Hund als Begleiter dabei.

Nach Erreichen der Berghütte, in der das erste Nachtlager errichtet wurde, bereiteten sie ihre Schlafstätten vor und legten sich zur verdienten Nachtruhe.

Der Hund tat das Gleiche und begann alsdann zu heulen und zu jaulen. Fragte der eine Wanderer seinen Kollegen, warum der Hund so jaule? Er bekam zur Antwort, dass der Hund auf einem Nagel liege. Fragte er weiter, warum sich der Hund denn nicht auf einen anderen Platz lege. Darauf sagte der Hundebesitzer: “Weil der Nagel zu kurz ist“.

[Quelle unbekannt]

Eine Geschichte über das Zuhören und Entdecken

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Eine Geschichte über das Zuhören und Entdecken

Du hörst zu, sagte der Meister,
nicht um zu entdecken,
sondern um auf etwas zu stoßen,
was dein eigenes Denken bestätigt.

Dann erzählte er die Geschichte von einem König.
Der zog einmal durch eine kleine Stadt.

Dabei entdeckte er überall Anzeichen einer verblüffenden Schießkunst.

Bäume, Zäune und Wände,
alle waren sie von Kreisen bemalt
und hatten genau in der Mitte ein Einschussloch.

Der König fragte, wo dieser Meisterschütze sei.
Der entpuppte sich bald als zehnjähriger Junge.

„Das ist doch unglaublich,“ sagte der König erstaunt,
„wie um alles in der Welt bringst du das fertig?“

„Das ist kinderleicht,“ war die Antwort. „Ich schieße zuerst und male dann die Kreise.“

Und genau so, fuhr der Meister fort: Genau so ziehst du zuerst dein Schlüsse und baust dann deine Prämissen um sie herum auf.
Genau so hältst du an Deinen Urteilen und an deinem gewohnten Glauben fest.

 

[Anthony de Mello (2005).

 

„Geschichten & Weisheiten“

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„Geschichten & Weisheiten“

Große Aufregung im Wald! Es geht das Gerücht um, der Bär habe eine Todesliste.

Alle fragen sich, wer denn nun da draufsteht. Als erster nimmt der Hirsch allen Mut zusammen und geht zum Bären und fragt ihn:

„Entschuldige Bär, eine Frage: Steh ich auch auf deiner Liste?”

„Ja”, sagt der Bär, „du stehst auch auf meiner Liste.”

Voller Angst dreht sich der Hirsch um und läuft weg. Und tatsächlich, nach zwei Tagen wird der Hirsch tot aufgefunden.

Die Angst bei den Waldbewohnern steigt immer mehr und die Gerüchteküche auf die Frage, wer denn nun auf der Liste steht, brodelt.

Das Wildschwein ist das nächste Tier, dem der Geduldsfaden reißt und darauf den Bären aufsucht, um ihn zu fragen, ob es auch auf der Liste stehen würde.

„Ja, auch du stehst auf meiner Liste”, antwortet der Bär.

Verschreckt verabschiedet sich das Wildschwein vom Bären. Auch das Wildschwein fand man nach zwei Tagen tot auf.

Nun bricht Panik bei den Waldbewohnern aus. Nur der Hase traut sich noch zum Bären.

„Hey Bär, steh ich auch auf deiner Liste?”

„Ja, auch du stehst auf meiner Liste!”

„Kannst du mich da streichen?”

„Ja klar, kein Problem!”

Burkhard Heidenberger

Der Papagei und der Zuckersack

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Der Papagei und der Zuckersack

Ein Kaufmann hatte in Indien einen wunderschönen Papagei erworben. Er liebte das Tier und verbrachte seine ganze Freizeit mit ihm. Mal nahm er den Papagei auf die Schulter, mal auf den Kopf und immer belohnte er ihn mit einem Zuckerstückchen. Der Zucker wurde für den Papagei der Inbegriff der Liehe seines Herrn. Eines Abends waren der Kaufmann und der Papagei allein im Hause. Der Kaufmann sagte: ,,Mein Liebster, es ist spät, und ich hin müde. Da heute Abend niemand außer uns im Haus ist, ist es nicht ratsam, dass wir beide schlafen. Wir sind hier nicht sicher also achte auf das Haus, als wärest du ein Wachmann..”

Der Papagei war ganz Ohr und stellte sich vom Kopf bis zur Schwanzfeder auf seine Aufgabe ein. Bald darauf fiel der Kaufmann in wohligen Schlaf, und das Haus lag in tiefer Ruhe. Plötzlich schlug ein Wurfhaken über die Mauer und an einem Seil zog sich behände ein Einbrecher hoch. Auf leisen Sohlen drang er ins Haus ein. Alles, was er sah, packte er in Säcke und Beutel, außer dem Zuckersack, der seinen Blicken entging. Schließlich blieb nur das leere Haus mit dem gefiederten Wachtmeister dem Zuckersack und dem schlafenden Kaufmann übrig.

Am nächsten Morgen, als der Kaufmann aufwachte, sah er um sich herum gähnende Leere. Kein Teppich bedeckte mehr den Boden oder die Wände. Vergeblich suchte er in den leeren Räumen. ,,All mein Hab und Gut hat sich aufgelöst wie Rauch im Wind. Das Haus ist leer wie mein Handteller. Wo sind die Seiden Teppiche?“, stöhnte der Kaufmann ,,Sei beruhigt“, antwortete der Papagei, ,,der Zuckersack ist noch da!“ ,,Wo sind die Juwelen?“ ,,Rege dich nicht auf der Zuckersack ist noch da!“ ,,Wo sind die Kostbarkeiten, an denen sich meine Seele erfreute?“ ,,Sei still, der Zuckersack ist noch da.“ ,,Wer war in der Nacht in unserem Haus?“, fragte verzweifelt der Kaufmann. ,,Ein Mann kam, aber es dauerte nicht lange, dann ging er wieder seines Weges erwiderte der Papagei. ,,Glaube mir“, beteuerte er ,,nicht ein Zuckerkörnchen ist abhanden gekommen. Alles, was du mir gesagt hast, habe ich  beherzigt. Die ganze Nacht habe ich den Zuckersack nicht aus den Augen gelassen. Für uns ist doch der Zucker das Wertvollste, mein Herr! Wie soll ich wissen, was für die wertvoll ist!

Nach P. Etassami‘ persische Dichterin

Ein Adler unter Hühnern

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Ein Adler unter Hühnern
Einst fand ein Mann das Ei eines Adlers und legte es in das Nest einer Henne. Der Adler schlüpfte mit den Küken und wuchs gemeinsam mit ihnen auf. Und da er dachte, er sei einer von ihnen, benahm er sich ein Leben lang wie die Hühner. Er suchte in der Erde nach Würmern und Insekten. Er gluckste und gackerte. Und manchmal hob er seine Flügel und flog ein paar Meter – wie die Hühner.
Doch eines Tages sah er einen herrlichen Vogel hoch oben am Himmel kreisen. Anmutig und hoheitsvoll ließ er sich von den Winden tragen, fast ohne mit seinen Flügeln zu schlagen. Der junge Adler blickte voller Bewunderung empor.
„Wer ist das?“, fragte er die Hühner. „Das ist der Adler, der König der Vögel“, antwortete ihm eins. „Aber reg dich nicht auf. Du und ich sind von anderer Art.“ Der junge Adler aber schaute erneut nach oben, und eine ungewohnte Erregung befiel ihn.
Er begann mit seinen Flügeln zu schlagen. Erst zaghaft, dann immer schwungvoller, und dann passierte es: Mit einem Schrei hob er ab in die Lüfte und schwebte für immer davon.
Verfasser unbekannt